Seltsames Sammelsurium im kleinsten Museum der Altmark
Auf nur 15 Quadratmetern betreibt der Salzwedeler Bürgermeisterhof e.V. die bürgermeisterliche Kuriositäten- und Wunderkammer
Kittelschürzen, Kornflaschen, Badezimmerfliesen – allerhand kuriose Objekte können Besucherinnen und Besucher der Hansestadt im Salzwedeler Bürgermeisterhof bewundern. Wirklich Wertvolles sucht man hier zwar vergebens. Aber auch an Alltäglichem lässt sich die wechselvolle Gesichte des Gebäudeensembles und der Stadt ablesen.
Seit gut einem halben Jahrtausend steht das Fachwerkensemble Bürgermeisterhof in Salzwedels Mitte und viele kleine und große Kuriositäten haben sich seitdem – und während der jüngsten Bauarbeiten seit Vereinsgründung im Januar 2020 – angesammelt.
Deshalb haben die Vereinsmitglieder in den ebenerdigen, hofseitigen Räumen des sogenannten Rosettenhauses, direkt unter dem Spruchbalken, im November 2023 die „bürgermeisterliche Kuriositäten- und Wunderkammer“ eingerichtet. „Unsere Wunderkammer ist ein Museum, das nicht Museum heißen will“, fasst Yulian Ide das Konzept hinter dem kuriosen Sammelsurium zusammen. Er hat die kleine Ausstellung initiiert, die sich kozeptionell an den Kuriositätenkabinetten der Spätrenaissance orientiert: „An diesen frühen Museen gefällt mir, dass es keine Hierarchie der Exponate gibt. In den Sammlungen der Wunderkammern herrschte ein gleichberechtigtes Durcheinander von wertvollen und wertlosen, großen und kleinen, unscheinbaren und besonderen Exponaten – und ich denke, dass es gut zu uns passt, die Geschichte des Bürgermeisterhofs und unseres Denkmalpflegevereins so zu präsentieren“, findet der ehrenamtliche Museumsdirektor: „Wie die Mitglieder im Verein, sind auch die Ausstellungsstücke in der Wunderkammer alle gleich wichtig.“ Immer die Balance zu halten, gelingt den Vereinsmitgliedern zwar nicht immer. Ein harmonisches Miteinander aber zumindest anzustreben ist ein Konzept, das sich durch sämtliche Aktivitäten des Vereins zieht, seit er sich die Volksherrschaft mit dem Slogan „Wir sind alle Bürgermeister*innen“ als Teil der offiziellen Eintragung im Vereinsregister quasi von Anfang an selbst auferlegt hat.
Die Vorstellung, museale Ausstellungen zu kuratieren und Exponate in wichtige und weniger wichtige einzuteilen, kam erst mit der Entstehung der großen Nationalmuseen im 18. Jahrhundert auf. Einige wenige Kuriositätenkabinette und Wunderkammern haben bis in die heutige Zeit überlegt, darunter die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale).
„Wer wirklich museale Stücke sucht, dem lege ich das J.-F.-Danneil-Museum sehr ans Herz.“
Yulian Ide, Bürgermeisterhof e.V.
Besucher:innen der bürgermeisterlichen Kuriositäten- und Wunderkammer können Exponate aus verschiedenen Epochen seit 1543 begutachten: Kittelschürzenstoff, Nähgarn, Kornflaschen, Tonscherben und Badezimmerfliesen, die die Vereinsmitglieder während der Subbotniks im und am Gebäude gefunden haben, sowie Veranstaltungsplakate, alte Ansichtskarten und künstlerische Darstellungen des Bürgermeisterhofs illustrieren in ihrer Gesamtheit nicht nur die großen Wendepunkte der Geschichte, sondern auch die ganz alltäglichen, zuweilen banalen Momente dazwischen. Vor allem zeigen sie aber, dass der Bürgermeisterhof seit jeher das schlagende Herz der Stadt Salzwedel ist. „Wer wirklich museale Stücke sucht, dem lege ich wohl doch eher das Johann-Friedrich-Danneil-Museum ans Herz“, empfiehlt Yulian Ide, aber ein wirklich museumstaugliches Exponat finde man wirklich nur hier: der 15 Quadratmeter große Raum selbst. „Die Wunderkammer befindet sich in einem knapp 500 Jahre alten Fachwerkspeicher. Die Rückseite des Ausstellungsraums bildet die ehemalige innerstädtische Stadtmauer zwischen Salzwedeler Alt- und Neustadt, die den Burggarten begrenzt und zu den ältesten profanen Bauwerken der Hansestadt zählt.“ Dass die Jahrhunderte auch an dem windschiefen Ausstellungsraum nicht spurlos vorüber gegangen sind, illustrieren Kritzeleien früherer Bewohner aus dem 19. Jahrhundert an den Lehmwänden.
Modewerkstätten zur DDR-Zeit, Gastronomie und Einzelhandel in den Nachwendejahren
Als Teil des Bürgermeisterhofs blicken die Gemäuer auf eine wechselvolle Geschichte zurück, wie die Denkmalpflegerin Ines Kahrens während der Eröffnungsfeier der bürgermeisterlichen Kuriositäten- und Wunderkammer erzählt. Die historischen Fachwerkhäuser, die ihre baulichen Ursprünge im 16. Jahrhunderts haben, waren nachweislich der Wohnsitz von mindestens vier verschiedenen Bürgermeistern der Salzwedeler Neustadt, woher der Name des Ensembles rührt. Zu DDR-Zeiten sind die Gebäude des Bürgermeisterhofs hingegen über Jahrzehnte Standort der Produktionsgenossenschaft (PGH) Modewerkstätten, eines textilverarbeitenden Betriebs, der allerdings bald nach der Wende abgewickelt wird. Viele langjährige Mitarbeitende – zum Großteil Frauen – stehen 1990 schlagartig ohne Arbeit da. Umso mehr schmeichelt es ihnen, dass ihre berufliche Vergangenheit nun in der bürgermeisterlichen Kuriositäten- und Wunderkammer in Form der ausgestellten Objekte doch noch eine späte Würdigung findet: eine Modepuppe aus der PGH, ein originaler Arbeitsvertrag, ein Nähtisch und schließlich das Kündigungsschreiben vom Mai 1990, das das Schicksal der Modewerkstätten und des gesamten Personals besiegelte.
Verschiedene gastronomische Betriebe siedelten sich in der Neunziger und Nuller Jahren im Hof an, während die Ladenfläche im Vorderhaus an der Burgstraße erst von einem Bekleidungsgeschäft und zuletzt von einer Parfürmerie genutzt wurde – eine Leuchtreklame und mehrere Ladenschilder legen in der Wunderkammer Zeugnis ab von dieser jüngsten Einzelhandelsgeschichte. 2019 stand das gesamte Ensemble leer. Eine Handvoll Salzwedeler kaufte das Baudenkmal schließlich mit Privatmitteln und gründete kurz darauf den gemeinnützigen Verein Bürgermeisterhof e.V., um das inzwischen stark baufällige Gebäudeensemble zu sanieren und mit kulturellen Aktivitäten wiederzubeleben. Kurz nach Vereinsgründung zieht die Hansenbande, ein Gemeinschaftsladen für regionales Kunsthandwerk, in das Ladengeschäft im Vorderhaus. In einem an den Hof grenzenden Raum hat ein Vereinsmitglied eine kleine, nicht-kommerzielle Nähwerkstatt eröffnet, die unabsichtlich an die Tradition der PGH Modewerkstätten anknüpft. Selbst die ausgebrannte ehemalige Produktionshalle der PGH an der Burggartenseite wird wieder genutzt: regelmäßig während der Schulferien findet hier ein Kunst- und Bauspielplatz für Kinder und Jugendliche statt. Rund 40 Ehrenamtliche sind im Bürgermeisterhof e.V. aktiv.
Während der Ladenöffnungszeiten (Dienstag bis Freitag, 10-17 Uhr, Samstag, 10-14 Uhr) können sich Besucherinnen und Besucher den Schlüssel zur bürgermeisterlichen Kuriositäten- und Wunderkammer an der Kasse der Hansenbande (Burgstraße 18, 29410 Salzwedel) abholen. Für 2 Euro pro Person bekommen sie den Schlüssel und je eine Postkarte ausgehändigt. Um die Wunderkammer zu besuchen, verlassen sie den Laden wieder, gehen rechts um die Ecke durch das gusseiserne Tor und über den Hof gehen. Unter der markanten Jahreszahl ANNO DOMINI 1543 hängt das Vorhängeschloss an der Tür, das sich mit dem ausgehändigten Schlüssel aufschließen lässt. Die zwei kleinen Ausstellungsräume können die Besucherinnen und Besucher dann selbstständig betreten. Nach ihrem Besuch schließen sie die Ausstellungsräume wieder ab und bringen den Schlüssel zurück an die Kasse der Hansenbande.
Die Erlöse aus den Eintritten zur Wunderkammer fließen zu hundert Prozent in die Vereinskasse.
Burgstraße 18
29410 Salzwedel
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